(Maria Höller-Zangenfeind, März 2011)

Sobald Sie sprechen oder singen hört die Umwelt nicht nur Ihre Worte und deren Inhalte  sondern auch Ihre Stimmung und einen Teil Ihres Wesens. Dies erst Recht, wenn Sie  herzhaft lachen oder herzzerreißend weinen. Die daraus hörbaren Klänge befreien sich aus dem Inneren. Das Zwerchfell, der größte Atemmuskel in der Körpermitte, gibt in solchen Momenten die Kontrolle auf und lässt große schüttelartige Bewegungen zu.  So erfassen die Gesprächspartner unvermittelt die innere Lage der sich äußernden Person.

Wir alle wissen, wie befreiend Lachen und Weinen sein kann. Tatsächlich ist es so,  dass diese unkontrollierte, automatisierte Atembewegung in einer etwas reduzierten Weise aber, doch  rhythmisch-dynamisch in jedem Moment im Menschen abläuft. Leider können übermäßige Spannungen diese lebendige Atembewegung erheblich stören. Der Energiefokus richtet sich dann in die Haltekraft. Ein beengtes Körpergefühl ist die Folge. Die innere Bewegung verliert an Dynamik und Impulsivität. Es zeigt sich ein eher zarter, zögerlicher oder kurzer Atemrhythmus. Der sprechende Mensch identifiziert sich überwiegend mit der Anspannung, anstatt mit seinem Innenraum, der Weite des Atemgeschehens. Ein verengter, angespannter Mensch wird eher Mühe haben, mit seinem  stimmhaften Ausatem und seiner Sprache, einen großen Resonanzraum zu nutzen. Stimmliche Klangfülle im akustischen Außenraum traut er sich selbst nicht zu. Er bewundert diese eher bei stimmauffälligen Mitmenschen. Die Wertschätzung für sich selbst bleibt eine ewige Sehnsucht.

Wie viele Personen leben mit der festen Überzeugung – woher diese auch immer kommen mag – keine gute Stimme zu haben? Die Phonation (Stimmgebung) ist zunächst eine physiologische Funktion. Ein gesunder Säugling bringt gleich nach der Geburt seine Atem- und Stimmfunktion  in Einsatz. Im ersten Schrei wird die Atem- und Lungenfunktion in ihrer Autonomie voll übernommen,  der kleine Brustkorb füllt und entlädt sich.  Bereits nach wenigen Tagen und Wochen beginnt der Säugling zu lallen und ist in der Lage, innere Stimmungen wie Wohlgefühl, Schmerzen, Hunger, unterschiedliche Befindlichkeiten auszudrücken.  Während sich die Laute zu Wörtern und schließlich zur Sprache entwickeln, wächst auch das Denken und der Verstand. Die sprachliche Kommunikation vereinfacht es dem Kind einerseits,  sich  verständlich zu machen.

Andererseits erfährt es häufig, dass das unmittelbare, direkte Ausdrücken von Bedürfnissen von Nachteil sein kann. Die übermäßig laute Reaktion oder Antwort des Erwachsenen, eine Sprachverweigerung, oder die Bestrafung durch Abwesenheit, Trennung wirken bereits ausdruckshemmend auf das Kind. Ein Zurückhalten des Atems, der Sprache oder der Stimmkraft ist die Folge. Spontane Äußerungen, das Gefühl der inneren Weite,  die Daseinsfreude und das Selbstwertempfinden reduzieren sich mehr und mehr.

Die Sehnsucht, mal laut zu schreien, schallend zu lachen oder nach Herzenslust zu singen bleibt dann oft zurück und kommt nur noch aus der Erinnerung, des bereits mal Erlebten.  Wird dem Ersehnten aber nachgegangen, so dürfen Atem- und StimmlehrerInnen häufig beeindruckende, befreiende Prozesse begleiten und bezeugen.  Es kann sich aber auch die Anstrengung des Haltens in Müdigkeit, Erschöpfung und Unzufriedenheit zeigen,  was dann häufig den inzwischen leidenden Menschen in die Praxis der Atem- und Stimmlehre führt.

Hat sich der Erwachsene erst an seine Ausdruckshemmungen gewöhnt, so glaubt er irgendwann selbst, dass beispielsweise die leise, dünne, zu höhe oder zu tiefe Stimme, seinem Wesen, seiner Natur entsprechen.  Die  Hirnforschung erklärt das heute so,  dass das nicht Können einer bestimmten Fähigkeit, der eigentliche Lerneffekt  für das Gehirn bleibt. Es sei denn, man erwirbt sich durch Üben und Erfahren von Neuem diese „verlernten“ Fähigkeiten quasi zurück. Dies kann nach heutigen Forschungsergebnissen in jedem Alter geschehen. Die physiologischen Bedingungen, bzw. Funktionen sind ja latent vorhanden, aber eben nicht optimal genutzt, vielleicht sogar etwas verkümmert.

Die Wiedereroberung des Innenraums schafft Selbstvertrauen und fördert das Selbstwertempfinden. Eine durchlässige, frei schwingende Atembewegung schafft ideale Bedingungen für einen klingenden Resonanzraum, der akustisch als Stimme hörbar ist.  Selbstverständlich braucht es etwas Zeit und Geduld, sich mit freien Tönen und der daraus veränderten akustischen Konsequenz neu zu identifizieren. Schließlich wird man plötzlich gehört. Diese Veränderung registriert auch das Umfeld.
Mehr Kraft in der Stimme, erhöhte Präsenz und mehr Lust zu kommunizieren,  wirken sich auf die Selbstpräsentation aus. Erst Recht dann, wenn die Kraft der Beine, der Mut, dem Boden zu widerstehen, anstelle in den Boden zu versinken, eingesetzt wird.
Der ganze Körper wird bei interessiertem Üben,  Erfahren und Erforschen, die Stimme in ihrer freien Ausdruckskraft unterstützen. Bei Kleinkindern und begnadeten Sängern ist dieser physische Einsatz gut zu beobachten.

Im Gespräch sind die physischen Kräfte weniger gefordert als beim Singen. Doch so wie sich manche Sängerin in die Herzen ihres Publikums singt, so wollen auch wir sprechend den/die Gesprächspartnerin erreichen.

Stellen Sie sich vor, Sie bewohnen mit Ihrer lebendigen Atembewegung Ihren Körper, fühlen sich darin wohl und ausgeglichen. Beim Sprechen bemühen Sie weder Ihre Kehle, noch ihren Nacken.  Die Artikulationsmuskulatur Ihres Gesichtes und des Mundraumes stellt sich von alleine auf Kontakt ein. Mit Ihrem erworbenen Innenraumempfinden, tauchen Sie in sich selbst ein. Während Sie sprechen, gibt es eine Stimmlippenschwingung, die ohnehin völlig unbewusst funktioniert.  Diese Schwingung breitet sich dann dank Ihres gewonnenen Selbstvertrauens und Wertempfindens in ihrem Körper aus. Physiologisch heißt dies, dass diese Schwingung gleichzeitig in den Knochen des Kopfes, in die Wirbelsäule und in den Brustkorb weiter geleitet wird. Man spricht hier von Resonanzvibration während der Tongebung. Diese Vibrationen werden physikalisch-akustisch nach außen weiter getragen und erreichen im Idealfall den Körper Ihres Gesprächspartners oder die ihrer Zuhörer.

Insbesondere wenn Ihr Herzraum mit den großen schützenden Rippenbogen beginnt sich zu öffnen (Empfindungs- und Gefühlsebene) bzw. zu vibrieren (Physiologisch/physikalische Ebene), dann wird Ihr Gegenüber sich von den warmen, weichen schillernden Tönen gerne berühren lassen.

Eros, die Eigenliebe schwingt in der Stimme.  Mit der Resonanzvibration nimmt man immer wieder eine wohltuende Beziehung zu sich selbst und dem eigenen Körper auf.  Resonanz nimmt gleichzeitig völlig absichtslos die Richtung nach außen. Zuhörende können sich dadurch öffnen oder gar berühren lassen. Ansprechende Momente, intensive Begegnungen geschehen,  einfach so.

(Artikel für das Sonderheft Atemimpulse des Schweizer Berufsverbands für Atemtherapie und Atempädagogik Middendorf sbam, März 2011) ©copyright by Maria Höller-Zangenfeind

(Die Presse 05.11.2010)

Von Verena Krausneker

1997 durch eine Krankheit erblindet, rang der Kanadier David Webber zehn Jahre lang um seine Sehkraft. Heute hält er Workshops für Menschen, die besser sehen wollen. Eine Begegnung.

David, warum ist dein Auge so rot?“ Als Arbeitskollegen dem 43 Jahre alten Computeranalysten David Webber wiederholt diese Frage stellen, hat er keine Ahnung, warum sein Auge entzündet ist. Er ignoriert es, bis es nicht mehr zu ignorieren ist. Als sein Augenarzt ihn sofort an einen Spezialisten verweist, ahnt er Übles. David hat eine massive Erkrankung des Immunsystems, die sich auf seine Augen schlägt, die Diagnose lautet Uveitis. Er erlebt, wie sein visuelles Wahrnehmungsfeld täglich kleiner wird. „Eines Tages konnte ich meine Uhr nicht mehr lesen“, sagt er. Oder: „Plötzlich konnte ich den Tropfer für meine Medizin nicht mehr zurück in die Flasche stecken. Ich traf nicht mehr hinein, egal wie nah ich sie hielt. Innerhalb einer Sekunde wusste ich, dass jetzt mein dreidimensionales Sehen auch weg war.“

Plötzlich sind Beklemmung und Kummer in diesem lebendigen, fröhlichen Mann zu spüren. „Sehen ist Licht“, meint David, „aber Nichtsehen ist nicht dunkel.“ Es wird innerhalb weniger Monate zunehmend schwieriger für ihn, seine Arbeit zu erledigen. Er beschreibt, wie er in Besprechungen mit extradicken schwarzen Markern seine Notizen machte, ein Wort pro Seite, „völlig lächerlich“. Sein Vorgesetzter ist verständnisvoll und trägt die Situation, soweit er kann. Aber dann kommt der Punkt, an dem beiden klar wird, dass es nicht mehr geht. David hört zu arbeiten auf: „1997 war für uns Computerleute eine extrem aufregende Zeit, der Beginn des Internets, und es war wirklich sehr, sehr traurig für mich, aufhören zu müssen.“

David ist schwer krank, kann nicht mehr Auto fahren, zieht zurück in das Haus seiner Eltern, es beginnt eine jahrelange Phase der Behandlungen, Operationen, ständiger Augenmessungen, des Hoffens und Zitterns um jede Handbreit Sehkraft: „Eine sehr schwierige Zeit der Veränderung. Eine Funktion zu verlieren ist, wie einen Teil deines Selbst zu verlieren. Wenn dir dann Ärzte sagen, das war’s, es ist nicht wieder herstellbar, dann kommt die große Traurigkeit. Nie mehr Lesen . . . Unzählige Aktivitäten waren verloren.“

In der Zeit der großen inneren Unsicherheit verschiebt sich auch Davids äußere Welt: Es wird deutlich, wer Freund ist und wem er zu kompliziert wird. Kollegen, Bekannte wenden sich ab, verlieren den Kontakt und kämpfen auch mit ihren eigenen Ängsten. „Sie sahen, dass derart plötzlich und schnell unverschuldet ein gravierendes Augenproblem auftreten und zu Blindheit führen kann, und das setzte vielen sehr zu. Viele hatten auch Schwierigkeiten, ihr Mitgefühl auszudrücken. Es war wirklich nicht leicht. Für niemanden.“

Schließlich wird David offiziell für blind erklärt. Aber was heißt blind? Dass kein Licht mehr durch die Augen ins Sehzentrum dringen kann? Ist Blindheit also die Absenz von Bildern? „Wenn wir träumen, sehen wir Bilder. Und woher kommen diese Bilder, ganz ohne Licht, mit geschlossenen Augen? Es gibt ja innere Bilder, die Imaginationen unseres Bewusstseins. Sehen scheint also nicht notwendigerweise mit einem funktionierenden Sehsinn zusammenzuhängen.“

Für David beginnt eine persönliche Entwicklung, eine Art Reise. Parallel zu den schulmedizinischen Bemühungen beginnt er, sich für andere Zugänge zum Thema Sehen zu interessieren. Er meditiert. Und er findet durch Zufall die Feldenkrais-Methode, deren Lehrer mit verbalen, langsamen Anleitungen ihre meist am Boden liegenden Schülerinnen und Schüler durch Bewegungssequenzen leiten. „Wenn ich ohnehin den ganzen Tag deprimiert herumliege, dann kann ich das wohl genauso in einer Feldenkrais-Stunde machen“, meint David über seinen ersten, zögerlichen Kontakt. Zunächst ist er Schüler, dann beginnt er ein vierjähriges Training, um selbst Lehrer zu werden: „Es gab natürlich eine gigantische Veränderung in meiner kinästhetischen Wahrnehmungsfähigkeit, meinem Gefühl für Berührungen. Vielleicht wäre ich als blinder Mann auch ein guter Parfumeur geworden. Aber auf jeden Fall kam es zu einer völlig neuen Balance zwischen meinem inneren und äußeren Erleben.“

Seine Darstellung heute zeichnet ein differenziertes Bild: Er lernte, „anders zu sehen“. Das Licht wurde weniger, „aber ich erlernte neue Wahrnehmungsformen, und die sind ja auch eine Art des Sehens. Es war nur anders. Meine Beziehung zu Licht änderte sich sehr, es war schmerzhaft, und ich konnte jahrelang nicht an großen Wasserflächen stehen, weil es viel zu hell war. Ich war vom Licht geblendet.“

David beginnt, sich zurechtzufinden. Unter großem emotionalem Druck, nämlich der Angst, dass die Sehkraft, also seine Nerven, völlig der Krankheit zum Opfer fallen könnten, sucht er Wege. Er probiert es in alle Richtungen, bricht jedoch niemals seine schulmedizinischen Behandlungen ab. „Münzen erkennen war sehr schwer. Da half mir der Blindenverband mit Trainings. Aber ansonsten fühlte ich mich dort nicht wohl, ich wollte kein Opfer sein, ich wollte mich nicht an das Problem gewöhnen und lernen, damit zu leben. Ich wollte das Problem verändern, so dass ich damit leben konnte, wie ich wollte. Ich spürte mit absoluter Sicherheit, dass es möglich ist, etwas zu verbessern. Ich wusste nicht, wie, aber ich spürte es und gab nicht auf.“ In Zeiten des Stillstands findet er zur fundamentalsten Funktion zurück: zur Atmung. Er verbringt viel Zeit damit, seine eigene Atmung zu beobachten, weiter nichts zu tun. Jahrelanges Interesse an Meditation und Buddhismus bedeuten, dass er „Werkzeuge hatte, um in so einer Situation weiterzukommen“.

Schließlich findet er seinen Weg: „Die Feldenkrais-Methode gab mir die Möglichkeit, auf andere Dinge zu fokussieren, nicht nur das Problem im Blick zu haben und der Spirale der Hoffnungslosigkeit zu entsteigen. Ich begann, mich wieder als ganzes Selbst zu erleben, das gab Kraft, und mein Ansatz war: Angst blockiert meinen Heilungsprozess, aber mit diesem neuen Selbstgefühl kann man arbeiten.“

Der Physiker Moshé Feldenkrais (1904 bis 1984) prägte einen Zugang zu menschlicher Entwicklungsfähigkeit, der heute weltweit gelehrt und von Menschen angewandt wird. Wie bei David Webber war es auch für Feldenkrais eine massive Einschränkung, aufgrund einer Knieverletzung, die ihn dazu führte, sich auf eine Entdeckungsreise zu machen und sich die gewünschten Funktionen zurückzuerobern. Sehr früh hatte er großes Interesse an Neurophysiologie und erkannte, dass die menschliche Lernfähigkeit die Grundlage für verbessertes Wohlbefinden ist. Die von ihm entwickelte Methode, die er zu Lebzeiten in Israel, Europa und vor allem in den USA lehrte, nützt sanfte Bewegungen, um Bewusstheit zu erreichen und in der Folge dazuzulernen. Schüler der Methode können an hoch spezialisierten Bewegungen Interessierte sein (Musiker, Sportler) oder einfach wissen wollen: Wie bewege ich mich besser, schmerzfrei, schneller, ökonomischer? In letzter Konsequenz führt diese Art der Beschäftigung mit sich selbst zu einer verbesserten Fähigkeit der Selbstregulierung.

David Webber spricht jahrelang nicht über seine Entdeckungen, er experimentiert vor sich hin, „fast wie in einer kleinen Höhle“, macht kleine Fortschritte und erlernt das Sehen neu. Erst als er nach Jahren beweisen kann, dass er sich seine Sehfähigkeit zurückerobert hat, wendet er sich nach außen. Sein langjähriger Augenarzt misst, teilt ihm das außerordentliche Ergebnis mit, kann es nicht verstehen – und lässt ihn wieder gehen. Er hat keine Zeit, sich mit Neuroplastizität und einem Patienten, der sein Hirn neu organisiert hat und wieder scharf sehen kann, zu beschäftigen. Aber David hat etwas gefunden: sein Augenlicht – und damit wieder die äußere Welt. Noch in seinem vierten und letzten Ausbildungsjahr zum Feldenkrais-Lehrer leitet er seinen ersten Workshop.

David hat kleine dicke Brillen, die seine nach Operationen fehlenden Linsen ersetzen. Er sieht wieder genug, um selbstständig reisen und leben zu können. Am meisten vermisst er, Gesichter nicht mehr schnell erkennen zu können. Sehen kostet ihn bewusste Aufmerksamkeit, und das macht müde. Lesen zum Beispiel wird in kleinen Portionen genossen. „Das für mich Wichtigste ist, dass meine Augen stabil sind, dass mein Immunsystem stabil ist und bleibt“, sagt er. Tatsächlich verlässt er sich erst seit den vergangenen zwei, drei Jahren auf stabil funktionierende Augen. In diesen Jahren erfüllt er sich Herzenswünsche wie eine Reise nach Italien. Und er beginnt, ein gefragter Workshopleiter zu werden, der, mit profunden Kenntnissen und großer Einsicht ausgestattet, Schüler mit Hilfe der Feldenkrais-Methode anleitet, sich um ihre Augen zu kümmern, ihr eigenes Sehen zu spüren und ihre Sehkraft zu verbessern. Vom kurzsichtigen Volksschüler bis zur Großmutter, die nur mehr auf einem Auge sieht, vertrauen ihm die Menschen.

Die großen Hoffnungen weichen der Erkenntnis, dass Davids Geschichte eine der Disziplin und des Wiedererlernens ist, kein biblisches Wunder. Er lenkt den Blick auf neurophysiologische Tatsachen: „Man kann mit Sicherheit sagen, dass alles Sehen mit Emotionen zu tun hat. Das limbische System, das emotionale Zentrum des Gehirns, ist der Torhüter des visuellen Zentrums, es liegt zwischen Augen und dem Sehzentrum. Alles, was wir durch die Augen wahrnehmen, wird, noch bevor wir bewusst wissen, was wir gesehen haben, dort sortiert: Mag ich es? Mag ich es nicht? Oder ist es egal?“

Sehen zu können bedeutet heute für David, dass er so leben kann, wie er will. Er ist sehr achtsam mit sich, nimmt die Brille ab, wann immer es geht, und lebt bewusst mit seinem verschwommenen, linsenlosen Bild der Welt. Er geht sogar spazieren ohne Brille. Und er lebt mit einer neuen Sicht auf das Sehen: „Es lenkt ab. Sehen ist so grandios, es ist überwältigend großartig. Und das hat zur Folge, dass gut sehende Menschen oft völlig verblendet sind. Die echten Bilder und Wahrheiten werden verdeckt von glitzernden, scharfen Ansichten.“

Und: „Hätte ich das Ganze als persönliches Thema genommen, wäre es ein Desaster gewesen. Aber so wurde es zu einer Reise: einer Entdeckungsreise, wie sie in all den alten Mythen und Heldengeschichten vorkommt. Die gehen ja auch oft blindlings hinein ins Abenteuer.“ David Webber, der schmale Mann mit den dicken Brillen als Held? „Ich habe nicht den Mount Everest bestiegen oder alleine die Welt umsegelt. Aber ich verstand diese Herausforderung als großes Thema, als Metapher, und ließ mich darauf ein.“ Die Blindheit wurde doch nie akzeptiert? „Ich akzeptierte die Diagnose nicht. Aber ich akzeptierte die Tatsache, dass ich vor einer gigantischen Herausforderung stand. Und ich dachte: Auch wenn ich niemals hier rausfinde, dieser Weg ist zu gehen. Ich schätze mich noch heute extrem glücklich, wie dieser Weg verläuft.“

Im Mai nächsten Jahres wird David Webber im „Feldenkrais Institut Wien“ zu Gast sein.

Der Artikel im Internet
Anders Sehen
(Die Presse 05.11.2010)

Der kanadische Skirennläufer im Interview (01:28)

John Kucera vom kanadischen Skiteam spricht über seine Erfahrungen mit der Feldenkrais® – Methode und wie sie ihm zu einer besseren Körperwahrnehmung im Training und bei Ski-Rennen verholfen hat.

Interview mit Russell Delman über Embodied Life (03:49)

(Maria Höller-Zangenfeind im Interview – Wiener Zeitung 31.07.2009)

Von Sonja Panthöfer

Die Körpertherapeutin Maria Höller-Zangenfeind spricht über stimmliche Ausdruckskraft, die – bei Politikern oftmals fehlende – Körperwahrnehmung, und warum die österreichische Sprache „swingt“.

Wiener Zeitung: Frau Höller-Zangenfeind, Stimmcoachings werben gerne damit, dass wir aus den Worten eines Gesprächspartners nur einen Bruchteil unserer Informationen – nämlich rund sieben Prozent – beziehen. Stimme, Gestik und Mimik seien viel wichtiger. Ist das Gesagte tatsächlich also eher unwichtig?

Maria Höller-Zangenfeind: Wenn jemand über ein Thema spricht, das mich sehr interessiert, nehme ich natürlich mehr auf als diese sieben Prozent, die ja nur ein Durchschnittswert sind. Bei jeder ersten Begegnung nimmt uns der Stimmklang des Sprechers aber doch sehr gefangen. Da spielen persönliche Charakterzüge und die Tagesform des Gesprächspartners ebenfalls eine Rolle.

Wenn ich nun jemandem begegne, dessen Stimme mir fürchterlich unsympathisch ist – inwieweit kann oder darf ich daraus auf die Persönlichkeit des Sprechers schließen?

Man kann auf jeden Fall davon ausgehen, dass es bei diesem Menschen Verhaltensweisen gibt, die in einem Widerstand oder Ablehnung hervorrufen. Möglicherweise gibt er Frequenzen von sich, die nicht gut ankommen. Natürlich heißt das nicht, dass diese Person in ihrem ganzen Wesen unsympathisch ist.

Also sollte man eine Klein-Mädchen-Stimme nicht mit einer Klein-Mädchen-Persönlichkeit gleichsetzen?
„US-Präsident Obama strahlt mit seiner Stimme, vor allem aber in seiner Gestik und Mimik Glaubwürdigkeit aus.“ (Höller-Zangenfeind). Foto: epa

„US-Präsident Obama strahlt mit seiner Stimme, vor allem aber in seiner Gestik und Mimik Glaubwürdigkeit aus.“ (Höller-Zangenfeind). Foto: epa

Wenn die Stimme konstant kleinmädchenhaft klingt, gibt es in dieser Frau offensichtlich etwas, das nicht erwachsen geworden ist. Diese Frau hat das Gefühl, dass sie mit ihrer Stimme in der Männerwelt besser ankommt.

Was macht eine Stimme anziehend?

Anziehend sind die oft zitierten vibrations. Wenn Sie mit jemandem sprechen, erzeugt Ihr Körper für den Stimmklang Vibrationen. Ausgelöst durch die Stimmlippen, leiten die Knochen und schließlich das Gewebe diese Vibrationen weiter an die Akustik. Da Sie Ihren Körper für den Klang gut nutzen, können mich diese Schwingungen erreichen. Wir berühren einander in Live-Situationen tatsächlich mit unserer Stimme. Das ist kein Hokuspokus, sondern zunächst einmal eine rein physikalische Angelegenheit. Worauf sollten wir denn achten, wenn wir beruflich Erfolg haben wollen? Wie müssen wir klingen?

Erfolg wird heute gerne so definiert: Wie viel Geld verdiene ich? Wie präsent bin ich in den Medien? Kommt meine Stimme gut an? Für mich hat Erfolg mit persönlicher Entwicklung, mit der Sinngebung im Leben zu tun. Es bedeutet auch, dass ich mir meiner Schwächen bewusst bin und dazu stehen kann. Eine erfolgreiche Stimme ist eine authentische Stimme.

Sie haben gerade die Medien erwähnt. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie Stimmen im Radio oder Fernsehen hören?

Viele Prominente wissen genau, wie man eine „bella figura“ macht. Sie sind medientauglich, können gut plappern, haben eine sehr gute Artikulation und sind rhetorisch gewandt.

Menschen mit rauen oder weniger wohlklingenden Stimmen werden gut gecoacht. Nur: Das alles ist Makulatur und Maske. Persönlichkeit zählt wenig. Die Folge sind Moderatoren, die nicht nur unecht klingen, sondern es auch sind.

Politiker präsentieren sich sehr oft in den Medien, doch Umfragen belegen, dass die Politikverdrossenheit der Menschen stetig wächst. Inwieweit könnte das mit den Stimmen der Politiker zusammenhängen?

Nun ja, auch die werden hauptsächlich auf ihre Medientauglichkeit hin gecoacht, und das macht sie als Person weniger glaubwürdig.

Fällt Ihnen jemand ein, der als positives Beispiel für Glaubwürdigkeit auf der Politikbühne gelten könnte?

Ich glaube, am Beispiel von US-Präsident Barack Obama und seinem Vorgänger George W. Bush wird der Unterschied recht deutlich. Obama vermittelt Integrität, moralisches Handeln und ist nicht in erster Linie darauf bedacht, was ihm Erfolg einbringt. Er strahlt mit seiner Stimme, vor allem aber in seiner Gestik und Mimik Glaubwürdigkeit aus. Deshalb macht es einen sehr großen Unterschied aus, ob Obama einen Fehler zugibt – oder Bush.

Sollten Politiker also mehr Politik mit ihrem Körper machen?

Es geht immer um ein Gesamtbild, und dazu gehört eben auch der Körper. Die Stimme macht nur einen Teil des Menschen aus. Es könnte für Politiker sicherlich sehr hilfreich sein, würden sie mehr auf ihren Körper und ihre innere Stimme achten.

Sollten das nicht alle Menschen tun?

Ja, natürlich. Es gibt viel zu viele Fettleibige, also nicht dicke Menschen, die gab es immer. Heute sehen wir Leute mit Haltungsproblemen und gestörter Körperwahrnehmung. Es gibt diesbezüglich eine Fülle von Ratgebern, weil wir unser gesundes, natürliches Körperempfinden verloren haben. Was ist gesund? Was sollen wir essen? Wie viel sollen wir uns bewegen? Das sind Fragen, die man heute dem Arzt, Heilpraktiker oder Therapeuten stellt.

Die österreichische Schriftstellerin Sabine Gruber spricht in einem ihrer Romane von „Körper-analphabeten“. Würden Sie dem zustimmen?

Absolut. Es gibt eine körperliche Verwahrlosung, die um sich greift. Dem ist nur beizukommen, wenn die Bedeutung des Körpers wieder allgemein erfasst wird. In ihm sind Geist und Seele materialisiert. Die TV-Werbespots oder die Plakate im Straßenbild zeigen deutlich, dass Körper heutzutage im sexuellen, aber nicht im erotischen Sinne benutzt werden. Das sind Auswüchse. In Asien dagegen hat die Körperkultur eine jahrtausendealte Tradition, die heute noch zum Alltag der Menschen gehört und gepflegt wird.

Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?

Der Körper sollte wieder mehr sein als nur Leistungsträger und wertgeschätzt werden. Äußerlichkeiten werden zu wichtig genommen. Wünschenswert wäre es, wenn bereits in den Schulen auf Körperwahrnehmung und Körperbewusstheit mehr Wert gelegt würde. Heranwachsende könnten solcherart ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln.

Sie erwähnten die asiatische Körperkultur, und sind ja selbst seit vielen Jahren in Japan tätig. Wie kam es dazu?

Dabei haben mein großer Wunsch, singen zu können, und mein Lachen eine gewisse Rolle gespielt. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn war ich Sportlehrerin und habe später eine Ausbildung zur Atemtherapeutin bei Ilse Middendorf in Berlin gemacht. Ich war dann fünf Jahre lang ihre Mitarbeiterin. Privat habe ich Gesangsunterricht genommen, konnte aber keine hohen Töne singen. An einem meiner Atemkurse nahm die japanische Sängerin Michiko Hirayama teil, die für Neue Musik bekannt ist. Die fand mein Lachen wunderbar und kraftvoll. Sie behauptete, jemand mit so einem Lachen müsse einfach singen können. Und hat mich dann immer zum Lachen gebracht. Wenn ihr das gelungen war, rief sie: „Hörst du diese Töne? Das bist du!“

Und diese unkonventionelle Dame hat Sie nach Japan gebracht?

Genau! Ich habe bei ihr Gesangsunterricht genommen und im Gegenzug für ihre anderen Schüler Körperübungen kreiert. Schließlich sagte sie: „In Japan gibt es einen sehr berühmten Professor, Fumiaki Yoneyama.

Dieser HNO-Arzt behandelt weltberühmte Opernstars. Der interessiert sich bestimmt für deine Arbeit.“ So war es dann auch. Ich habe einen Vortrag in Japan gehalten, der sehr gut ankam. Das liegt jetzt 22 Jahre zurück. Seitdem bin ich ein- bis zweimal im Jahr in Japan.

Womit haben Sie die Japaner überzeugt? Was ist der Kern Ihrer Methode „Atem-Tonus-Ton“?

Das ist ein körperlich-seelischer Weg. Die Ressource des Menschen ist sein Atem. Ich zeige, wie man sich das bewusst machen und daraus schöpfen kann. Ziel ist es, die innere Koordination zwischen der Atembewegung und dem Muskeltonus aufeinander abzustimmen. Das heißt, ich kann die Muskelkraft der willentlichen Skelettmuskulatur einsetzen für Stimmkraft, Tonlänge und Tonhöhe. Für Volumen und Klangfarben übt man an den unbewussten Kräften, den Innenräumen.

Wie sieht die Forschungsarbeit in Japan aus?

Im Grunde wird gemessen und sichtbar gemacht, wie wichtig Körperbewusstheit für eine tragende Stimme ist. Mit dem Ton allein, der in den Stimmbändern entsteht, könnten wir noch nicht gut kommunizieren. Aber mit dem Klang, der daraus entsteht. Jeder von uns hat eine andere Körperform und somit eine andere Klangqualität. Die Stimme wird entlastet, wenn eine gute Synchronisation mit anderen Innenbewegungen des Körpers stattfindet.

Wie lässt sich die Stimme sichtbar machen und messen?

Die thermografischen Aufzeichnungen von Professor Yoneyama faszinieren, weil sie so anschaulich sind. Auf einem großen Monitor ist der Körper in viele Farbfelder eingeteilt, die jeweils die Wärme der entsprechenden Körperzone anzeigen.

Rot steht für hohe Körpertemperatur, blau und schwarz zeigen niedrige Wärmegrade an. Dazwischen gibt es natürlich noch andere Farbnuancen. Je nach Übungssequenz und wenn ich nun etwa die Silbe „Mo“ wiederholt töne, können sich große Veränderungen im Körper zeigen. Über die Temperatur und Farbe ist die Unvergleichlichkeit jedes Menschen beleg- und darstellbar.

Gibt es Grenzen für die Stimme?

Nein, oder nur dann, wenn ich meine Stimme mit der von anderen vergleiche. Wenn ich singen möchte wie Maria Callas oder Edith Piaf, stoße ich natürlich schnell an meine Grenzen. Für mich ist die Stimme an persönliches Wachstum gebunden, wodurch sie sich zu einer individuellen, unvergleichlichen Stimme entwickeln kann.

Welche Stimmen mögen Sie selbst am liebsten?

(Lacht) Die von meinem Mann!

Und wie würden Sie diese Stimme beschreiben?

Mein Mann stammt aus der Nähe von Passau. Er hat eine schöne, tiefe, niederbayerische Stimme, der manchmal die Klarheit nach vorne etwas fehlt. Das ist etwas, was die Stimmen der Norddeutschen oft auszeichnet. Und was die Österreicher eher nervt. Dieses Klare, Preußische, gut Artikulierte und Versierte.

Wie klingt das Österreichische für Sie?

Die Österreicher zeigen mehr Gemüt oder Gefühlsfärbung, was sich in einem weichen Klang und vielen Klangfarben äußert. Die Wärme und der Musikreichtum dieser Kultur sind in der Stimme ebenso enthalten wie in der Sprache.

Wenn ich als Deutsche in Österreich Erfolg haben will, sollte ich den Österreichern stimmlich entgegen kommen? Und wenn ja, inwiefern?

Auf jeden Fall. Nur nicht im Dialekt, das klingt dann eher peinlich. Zunächst ist das Zuhören in einem ungewohnten Sprachraum eine wesentliche Voraussetzung, um überhaupt Menschen besser kennen zu lernen. Speziell in Österreich wäre Weichheit wichtig sowie die Bereitschaft, sich in die Dynamik des österreichischen Gesprächspartners einzufühlen.

Was bedeutet Dynamik in diesem Zusammenhang?

Bei zu forschem Auftreten eines Deutschen neigt der Österreicher dazu, sich zu verschließen. Die Deutschen sprechen in der Regel schneller, fragen häufig nach und formulieren gerne. Der Österreicher zeigt seine Befindlichkeit weniger in der Formulierung als in der Art des Sprechens. Er nimmt gerne Raum ein und kann sich darin schließlich öffnen. Aber er will nicht aufgrund einer einzigen Frage und schon gar nicht in einer kurzen Antwort sein ganzes Leben preisgeben.

Und wenn ein Österreicher nach Deutschland kommt, worauf muss er dann achten?

Ach, der wird an sich schon recht freundlich empfangen. Weil er das Gemüthafte vermittelt, das uns Deutschen immer sehr wohl tut. Manchmal werden Österreicher vielleicht belächelt, weil sie den Deutschen unbekannte Ausdrücke verwenden und dadurch zunächst rhetorisch weniger versiert klingen.

Aber sie müssen sich gewiss nicht verstecken. Denn die Deutschen beneiden die Österreicher um ihre warme und ruhige Sprache.

Magna, der österreichisch-kanadische Autozulieferer, hat sich beim Einstieg bei Opel gegen den italienischen Konzern Fiat durchgesetzt. In der „Süddeutschen Zeitung“ war vom „wärmenden österreichischen Singsang“ des freundlichen Magna-Co-Chefs Siegfried Wolf die Rede. Offenbar ist es ihm gelungen, auch damit ein positives Klima bei den Verhandlungen zu schaffen. Glauben Sie, dass Wirtschaftsbosse von großen Unternehmen durch Sprache und Stimme am Image und Erfolg des Konzerns mitwirken können?

Ja, das glaube ich. Man spricht ja von Resonanz in der Kommunikation, also von Zustimmung, und von Konsonanz , dem Gleichklang. Das sind Phänomene, die an eine schwingende, ansprechende Stimme gekoppelt sind. Innere Ruhe, ein gewisser Tiefgang und Integrität werden in der Sprache hörbar und kommen den Verhandlungen zugute.

Der Schauspieler Christoph Waltz hat in Cannes die Goldene Palme für seine Rolle als SS-Offizier in den Film „Inglorious Basterds“ von Quentin Tarantino verliehen bekommen. Waltz hat erklärt: Das „Österreichische swingt besser als das Deutsche“. Hat er Recht?

So sehe ich, oder besser gesagt, so höre ich das auch! Österreicher können innere Stimmungen stimmlich gut zum Ausdruck bringen. Beim Hörer kann dies als Swing ankommen. Auf jeden Fall kenne ich das Gefühl, in österreichischer Gesellschaft beschwingt zu sein, und zwar noch bevor der Heurige auf dem Tisch steht!

Zur Person

Maria Höller-Zangenfeind, geboren 1952 in Eschenbach/Oberpfalz, Deutschland, ist Körperpsychotherapeutin und bekannt geworden durch ihre Methode „Atem-Tonus-Ton“, eine körperorientierte Stimmbildung. Die eigene Stimme soll sich aus den vitalen und sensiblen Kräften des Menschen entwickeln. Zugleich wird damit die Persönlichkeit gestärkt.

Maria Höller-Zangenfeind ist Schülerin von Ilse Middendorf, die als die Grande Dame der Atemtherapie gilt und bereits 1965 in Berlin ein Institut für Atemtherapie gründete. Heute wird der von ihr entwickelte „Erfahrbare Atem“ nicht nur in ganz Europa, sondern auch in den USA (San Francisco) gelehrt. Bei dieser ganzheitlichen Heilmethode sollen Körper, Seele und Geist durch freies Atmen durchlässig werden und gesunden. Ilse Middendorf ist Anfang Mai 2009 im Alter von 98 Jahren verstorben.

Maria Höller-Zangenfeind bietet Seminare in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Japan an. Am 28. und 29. November 2009 findet ein von ihr geleitetes Seminar in Wien statt. Ebenfalls in Wien beginnt im März 2010 eine Ergänzungsausbildung „Atem-Tonus-Ton“ für künstlerische, therapeutische und pädagogische Berufe.

Maria Höller-Zangenfeind: „Stimme von Fuß bis Kopf“. Studien Verlag, Innsbruck 2004.

www.maria-hoeller.de

Sonja Panthöfer, geboren 1967, arbeitet als Journalistin und Coach. Sie lebt in München. Ihr gemeinsam mit Andreas Wirthensohn verfasstes Buch „Keine Zeit zum Älterwerden. 16 Porträts von aktiven Menschen“ ist im Knesebeck Verlag erschienen.

Der Artikel im Internet
Eine erfolgreiche Stimme klingt authentisch
(Wiener Zeitung 31.07.2009)

(Christoph Habegger im Interview – Spa World Business Ausgabe 02/2009)

Fernöstliche Bewegungslehren sind fixer Bestandteil im Angebot von Spa-Hotels.

Westliche Lehren wie die Feldenkrais-Methode sind zwar in anderen Bereichen, wie in Kunst und Kultur, gut etabliert, die Wellness-Branche hat sie aber scheinbar noch nicht entdeckt, dabei passt sie ideal in ein entsprechendes Angebot, denn Feldenkrais ist eine Art Körperarbeit, die abgesehen von ihrem entspannenden Effekt nachhaltige Erfolge für Körper, Geist und Seele erzielt. „Wahrscheinlich liegt es daran, dass sich keine Trendmacher hinter der Feldenkrais-Methode verstecken, die Lehrenden selber an ihrer eigenen Bewusstheit und Wahrnehmung – zwei häufig fallende Schlagwörter – üben, kurz, sie versuchen, ihre eigene Lehre zu leben.“ Christoph Habegger, Feldenkrais- und Universitätslehrer, fügt hier noch hinzu, dass die Methode ihren Fokus auf das Lernen als Motivation legt. Damit sind keine Scheu vor persönlicher Entwicklung und der Wille und Mut zur Veränderung die wichtigsten Voraussetzungen.

Moshé Feldenkrais (1904 – 1984)
Die Methode ist nach ihrem Begründer benannt. Moshé Feldenkrais, dessen Karriere als promovierter Physiker einen Bogen über die Nukleartechnik bei den Nobelpreisträgern Irene Juliot-Curie und Frédéric Juliot bis zur Sonartechnik zur U-Boot-Erkennung bei der britischen Admiralität spannte, ist mit 14 Jahren aus seiner Geburtsstadt Slawuta in der Ukraine in das damalige Palästina ausgewandert.

Über sich selber lernen, ist ein Geschenk des Lebens und ein lebenslanger Prozess. Moshé Feldenkrais
Schon damals kam er in Kontakt mit ganzheitlichen Körpertrainings, als er Jiu-Jitsu lernte. Im Paris der 30er Jahre machte er Bekanntschaft mit Jigoro Kano, dem Begründer des Judo. Parallel zu seiner technischen Arbeit erweiterte er sein Wissen mit dem Studium von neurophysio- und -psychologischen Büchern. Nach der Gründung Israels kehrte er dorthin zurück. Neben seiner Arbeit in einem Forschungsinstitut des Verteidigungsministeriums begann er seine Methode zu entwickeln, veröffentlichte 1949 das erste Buch „Body and Mature Behaviour“ und widmete sich ab 1952 ausschließlich dem Unterricht und der Ausbildung neuer Praktizierender der Feldenkrais-Methode.

Die Methode
Allem voran geht es um die Schulung der Wahrnehmung und Bewusstheit. Feldenkrais übt das Erkennen der eigenen Bewegungsmuster und – davor – das Erspüren, welche Körperteile überhaupt an einer Bewegung beteiligt sind. Dabei erkennt der Übende, ob eine Bewegung optimal ausgeführt wird. In der Variation mit anderen Bewegungsmustern kann herausgefiltert werden, wie ein solches optimiert werden kann. Meist geht mit der Veränderung in einem Bewegungsverhalten auch eine Veränderung im Umgang mit der Umwelt einher.

„Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst.“ Moshé Feldenkrais
Der Erfolgsfaktor für die Methode liegt im Menschen selber. Feldenkrais fand heraus, dass das menschliche Nervensystem eine angeborene Intelligenz hat. Der Körper merkt sich daher sofort, wenn eine Bewegung leichter geht und ersetzt die ungünstigere beinahe von alleine oder entwickelt ein Handlungsrepertoire, das ihm ermöglicht, in unterschiedlichen Situationen angemessen zu reagieren. Habegger veranschaulicht dies in einem Beispiel: „Jeden Tag nehme ich denselben Weg zur Arbeit. Eines Tages ist dieser Weg aus irgendeinem Grund versperrt. Kenne ich keinen anderen Weg, werde ich mich vielleicht verirren oder zumindest zu spät zur Arbeit kommen. Mache ich es mir hingegen zum Spiel, jeden Tag einen anderen Weg zu finden, werde ich bald die ganze Gegend kennen!“ Für diese Wahrnehmungsschulung hat Feldenkrais zwei Systeme entwickelt.

„Bewusstheit durch Bewegung“
Dieses System ist für den Gruppenunterricht gedacht. Dabei führt der Übende die Anweisung des Feldenkrais-Lehrenden aus. Es gibt keine Korrektur, denn es geht nicht um die perfekte Bewegung, sondern um das eigenständige Herausfinden, welche Form der Bewegung optimaler ist. Unter Bewegung stellt man sich aber wahrscheinlich mehr vor, als tatsächlich passiert. Bewegung im Feldenkrais ist etwas ganz kleines, das unter Umständen von außen auch nicht sichtbar ist. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: wenn der Übende am Rücken liegt und nur im Ansatz versucht, das Bein zu heben, ist wahrscheinlich für den Betrachter keine Bewegung sichtbar, im Körper selber finden aber viele kleine Prozesse statt, die nur bei einem minimalen Unterschied die Effizienz der tatsächlich großen Bewegung weitgehend steigern können. Mit Spannung kann der Übende beobachten, dass der Körper derart leicht umlernt, dass er es – während man nur auf einer Seite geübt hat – auf der anderen Seite von ganz alleine macht. Habegger erklärt auch, warum eine solche Gruppenstunde emotionale Auswirkungen und somit einen Einfluss auf das Seelenleben haben kann. Im menschlichen Körper ist die Lebensgeschichte gespeichert, jedes Haltungs- und Bewegungsmuster ist gleichsam Ausdruck der eigenen Geschichte. Indem wir einen bestimmten Körperteil bewegen, wird auch die in jenem Teil gespeicherte Information bewegt.

„Funktionale Integration“
Die Einzelarbeit nach Feldenkrais ist eine passive Methode, das heißt, der Feldenkrais-Lehrer bewegt den Klienten. Eine derartige Sitzung ist vergleichbar zielgerichteter. Der Lernende gibt das Thema vor, sei es ein Schmerz im Knie, leichteres Geige-Spielen oder Ähnliches. Gemeinsam wird nach einer Referenzbewegung gesucht, etwa dem Aufsetzen des Fußes oder dem Bogenschwung, um bei den Beispielen zu bleiben. Der Feldenkrais-Lehrer kann sich so ein Bild von der Bewegungsorganisation machen. Nun beginnt die manuelle Arbeit des Lehrenden, der den Klienten berührt oder einzelne Körperteile bewegt. Der Klient kann auf passive Weise weitere Bewegungsmöglichkeiten kennen lernen und erkennen, wie einzelne Körperstrukturen an Bewegungen beteiligt sind. Am Ende der Lektion wird die Referenzbewegung wieder aufgenommen. Die individuelle Arbeit wirkt viel direkter in ein lange eingeübtes Bewegungs- und Verhaltensmuster ein und ermöglicht eine erweiternde und oft auch erleichternde Veränderung.

Anwendungsgebiete
Wie eingangs erwähnt, ist die Feldenkrais-Methode abgesteckt auf das aktive Lernen. Dementsprechend vielfältig gestalten sich die Anwendungsbereiche. Feldenkrais findet sich in der Rehabilitation nach Unfällen sowie in der Gesundheitsvorsorge, aber auch zur alternativen Behandlung bei neurologischen Erkrankungen. In der Pädagogik und beim Sport werden mit Feldenkrais neue Muster trainiert und in der körperorientierten Psychotherapie verweist die Methode auf gute Erfolge. So unterstreicht Habegger nachdrücklich ein Ziel, mehr Verantwortung für die persönliche Entwicklung und Gesundheit, die Integrität und Authentizität zu übernehmen, wofür Feldenkrais einen außergewöhnlichen Beitrag leistet.

Der richtige Lehrer
In vielen Disziplinen stellt sich die Frage nach der Kompetenz des Unterrichtenden. Diese ist bei jedem Trainer gewährleistet. Die Ausbildung, um unterrichten zu dürfen, dauert vier Jahre, in denen ein „Educational Director“ den Einzelnen größtenteils begleitet. Weiters gibt es Trainer und Assistent Trainer, die eine Bandbreite an zusätzlichen Stilen mit hineinbringen. Für die Auswahl des richtigen Lehrers ist selbstverständlich auch die Chemie verantwortlich und sollte die einmal nicht stimmen, darf ruhig gefragt werden, ob der Lehrer nicht etwas spiegelt, worauf der Übende nicht sehen will.

Christoph Habegger ist Feldenkrais-/Stimm- und Atempädagoge und Universitätslehrer.

Buchempfehlung: „Beweglich sein – ein Leben lang“ Thomas Hanna
SPA WORLD Business, Ausgabe 2/2009

Der Artikel im Internet:
Feldenkrais – Mit kleinen Bewegungen zu ganzheitlichem Wohlbefinden

(Christoph Habegger im Interview mit Arno Plass in Spa World Business Ausgabe 02/2009)

(Die Presse 02.07.2004)

Vor 20 Jahren starb Moshe Feldenkrais. Nach einer Verletzung entwickelte er eine Bewegungs-Methode, die heute noch zu Wellness-und Therapie-Zwecken eingesetzt wird.

Seinen 100. Geburtstag hätte er vor wenigen Wochen gefeiert, heute, Freitag, jährt sich zum 20. Mal der Todestag von Moshe Feldenkrais (1904-1984), Palästina-Pionier, Experimentalphysiker, Verhaltensforscher und leidenschaftlicher Lehrer. In die Geschichte eingegangen ist er als Begründer einer nach ihm benannten Bewegungs- und Lernmethode, die in Folge gesteigerten Gesundheitsbewusstseins und des Wellness-Booms der letzten Jahre zunehmend auch in therapeutischem Zusammenhang genannt wird.

„Die Feldenkrais-Methode grenzt an Medizin, Psycho- und Physiotherapie, ist aber weder das eine noch das andere“, sagt Erhard Klammerth, diplomierter Feldenkrais-Lehrer. Feldenkrais liefert vielmehr einen ganzheitlichen Zugang. Simpel erklärt handelt es sich um Bewegungsübungen (keine Gymnastik!) mit mentalem Hintergrund. „Es geht immer um Bewegung und darum, zu bemerken, wie ich es tue, und herauszufinden, ob es auch angemessen ist und welche weiteren Wahlmöglichkeiten es gibt. Zentral dabei ist das selbstbestimmte Lernen, also zu lernen, wie man lernt, besser mit sich umzugehen und so seine potenziellen Fähigkeiten zu verwirklichen“, schildert Klammerth die These von Feldenkrais.

Feldenkrais litt nach einem Unfall beim Fußballspielen an einer komplizierten Knieverletzung und verlagerte seine sportlichen Aktivitäten fortan auf asiatische Kampfsportarten. In Palästina, wohin er 14-jährig aus Russland immigriert war, begann er, sich mit Jiu-Jitsu zu beschäftigen und unterrichtete diese Sportart auch bald schon in der Haganah, der Vorläuferin der israelischen Armee.

1928 ging Feldenkrais nach Paris, um an der Sorbonne Maschinenbau, Elektrotechnik und später Physik zu studieren. Nach der Promotion arbeitet er am Institut Pasteur bei Joliot-Curie. In Paris begegnete er Jigaro Kano, dem Begründer des Judo. Der „sanfte Weg“ (so die wörtliche Übersetzung) faszinierte Feldenkrais so sehr, dass er als erster Europäer den schwarzen Gürtel erwarb, zwei Judo-Bücher schrieb und in Paris die erste europäische Judovereinigung gründete.

1940 dann die Flucht vor den Nazis, Anheuerung bei der britischen Marine. Nach einem Sturz auf einem U-Boot verschlechterte sich der Zustand seines Knies. Ein chirurgischer Eingriff schien unumgänglich. Angesichts der damaligen Operationsmethoden entschied sich Feldenkrais jedoch dagegen, verschlang statt dessen Unmengen Literatur über Verhaltensforschung und Medizin, besonders über Neurologie und Körpermechanik. Das neue Wissen als Basis, experimentierte er selbst mit kleinsten, langsamsten Bewegungen – nach drei Monaten konnte er wieder gehen. Er entdeckte seine Bewegungen nach dem Vorbild der Entdeckerneugier eines Kindes komplett neu. Hilfreich dabei war ihm auch sein Wissen als Judoka, aber auch als Physiker und Ingenieur.

Die Erfahrung der „Selbstheilung durch Selbstlernung“ wurde fortan zu seinem Thema. 1949 lieferte Feldenkrais mit dem Buch über „Body and Mature behaviour“ (zu deutsch „Der Weg zum reifen Selbst“) erstmals die theoretischen Grundlagen seiner Arbeit.

Eine wichtige Errungenschaft liegt in der Beobachtung, dass Sensorik und Motorik untrennbar miteinander verbunden sind. „Jeder sensorische Eindruck löst eine Bewegung aus“, sagt Klammerth. Wenn etwa die Sonne blendet, bedecken wir die Augen, wenn wir auf eine heiße Herdplatte greifen, ziehen wir sofort die Hand zurück. „Wenn die Motorik gestört ist, kann man sie über sensorische Reize wieder in Gang bringen, vorausgesetzt die Sensorik ist noch in Takt.“ Das spiele in der Praxis ein große Rolle bei Schädel-Hirn-Traumata, einem wichtigen therapeutischen Anwendungsbereich der Methode von Feldenkrais.

Dieser entwickelte zunächst eine Einzelbehandlungs-Methode, die rasch bekannt wurde. Yehudi Menuhin kam zu ihm, um von ihm zu lernen, Israels Ministerpräsident Ben Gurion befreite Feldenkrais von seinem Rückenleiden. Das Prinzip war stets, den Schülern zu vermitteln, sich in ihrer Bewegung neu zu etablieren. „Erst wenn wir wissen, was wir tun, können wir tun, was wir wollen“, so einer seiner Grundsätze.

Aufgrund der großen Nachfrage entwickelte Feldenkrais ab 1955 Gruppentechniken. In den folgenden Jahren erarbeitete er einige tausend bis heute gültige Lektionen. In jeder einzelnen werden die Schüler auf neue kreative Weise mit ihrer Bewegung konfrontiert. „Bewusstheit durch Bewegung“ lautete folglich das Prinzip, das auf eine individuelle Verbesserung von Bewegung und Lernprozess zielt.

1960 begann Feldenkrais, seine Methode an „Jünger“ weiterzugeben, die erste Ausbildung fand 1960 in Israel statt. In Europa schaffte er in den siebziger Jahren den Durchbruch von der Schweiz aus, „zwölf Radiolektionen“ brachten ihm internationale Anerkennung. Es folgten Ausbildungen in den USA, Deutschland und Frankreich. Bremsen konnte den agilen Querdenker erst ein Schlaganfall. Am 2. Juli 1984 starb er in seinem Haus in Tel Aviv.

Heute gibt es weltweit um die tausend Feldenkrais-Lehrer, in Österreich sind es ungefähr 120. Berechtigt zum Unterricht sind ausschließlich diplomierte Feldenkrais-Lehrer, die eine international anerkannte vierjährige Ausbildung mit Abschlussprüfung absolviert haben. Der Unterricht findet in Form von Gruppenarbeit („Bewusstheit durch Bewegung“) oder Einzelarbeit („Funktionale Integration“) statt.

Therapeutisch sinnvoll ist die Feldenkrais-Methode insbesondere bei Nacken- und Schulterbeschwerden, bei Multipler Sklerose, bei der Rehabilitation von Schädel-Hirnverletzten und Schlaganfall-Patienten, bei geistig und lernbehinderten Kindern, bei der Geburtsvorbereitung sowie als Ergänzungsbehandlung bei Patienten mit Krebs oder Essstörungen.

Der Artikel im Internet
Langsame Bewegungen statt Operation: Feldenkrais‘ Methode der Selbstheilung
(Die Presse 02.07.2004)