Langsame Bewegungen statt Operation: Feldenkrais‘ Methode der Selbstheilung

(Die Presse 02.07.2004)

Vor 20 Jahren starb Moshe Feldenkrais. Nach einer Verletzung entwickelte er eine Bewegungs-Methode, die heute noch zu Wellness-und Therapie-Zwecken eingesetzt wird.

Seinen 100. Geburtstag hätte er vor wenigen Wochen gefeiert, heute, Freitag, jährt sich zum 20. Mal der Todestag von Moshe Feldenkrais (1904-1984), Palästina-Pionier, Experimentalphysiker, Verhaltensforscher und leidenschaftlicher Lehrer. In die Geschichte eingegangen ist er als Begründer einer nach ihm benannten Bewegungs- und Lernmethode, die in Folge gesteigerten Gesundheitsbewusstseins und des Wellness-Booms der letzten Jahre zunehmend auch in therapeutischem Zusammenhang genannt wird.

„Die Feldenkrais-Methode grenzt an Medizin, Psycho- und Physiotherapie, ist aber weder das eine noch das andere“, sagt Erhard Klammerth, diplomierter Feldenkrais-Lehrer. Feldenkrais liefert vielmehr einen ganzheitlichen Zugang. Simpel erklärt handelt es sich um Bewegungsübungen (keine Gymnastik!) mit mentalem Hintergrund. „Es geht immer um Bewegung und darum, zu bemerken, wie ich es tue, und herauszufinden, ob es auch angemessen ist und welche weiteren Wahlmöglichkeiten es gibt. Zentral dabei ist das selbstbestimmte Lernen, also zu lernen, wie man lernt, besser mit sich umzugehen und so seine potenziellen Fähigkeiten zu verwirklichen“, schildert Klammerth die These von Feldenkrais.

Feldenkrais litt nach einem Unfall beim Fußballspielen an einer komplizierten Knieverletzung und verlagerte seine sportlichen Aktivitäten fortan auf asiatische Kampfsportarten. In Palästina, wohin er 14-jährig aus Russland immigriert war, begann er, sich mit Jiu-Jitsu zu beschäftigen und unterrichtete diese Sportart auch bald schon in der Haganah, der Vorläuferin der israelischen Armee.

1928 ging Feldenkrais nach Paris, um an der Sorbonne Maschinenbau, Elektrotechnik und später Physik zu studieren. Nach der Promotion arbeitet er am Institut Pasteur bei Joliot-Curie. In Paris begegnete er Jigaro Kano, dem Begründer des Judo. Der „sanfte Weg“ (so die wörtliche Übersetzung) faszinierte Feldenkrais so sehr, dass er als erster Europäer den schwarzen Gürtel erwarb, zwei Judo-Bücher schrieb und in Paris die erste europäische Judovereinigung gründete.

1940 dann die Flucht vor den Nazis, Anheuerung bei der britischen Marine. Nach einem Sturz auf einem U-Boot verschlechterte sich der Zustand seines Knies. Ein chirurgischer Eingriff schien unumgänglich. Angesichts der damaligen Operationsmethoden entschied sich Feldenkrais jedoch dagegen, verschlang statt dessen Unmengen Literatur über Verhaltensforschung und Medizin, besonders über Neurologie und Körpermechanik. Das neue Wissen als Basis, experimentierte er selbst mit kleinsten, langsamsten Bewegungen – nach drei Monaten konnte er wieder gehen. Er entdeckte seine Bewegungen nach dem Vorbild der Entdeckerneugier eines Kindes komplett neu. Hilfreich dabei war ihm auch sein Wissen als Judoka, aber auch als Physiker und Ingenieur.

Die Erfahrung der „Selbstheilung durch Selbstlernung“ wurde fortan zu seinem Thema. 1949 lieferte Feldenkrais mit dem Buch über „Body and Mature behaviour“ (zu deutsch „Der Weg zum reifen Selbst“) erstmals die theoretischen Grundlagen seiner Arbeit.

Eine wichtige Errungenschaft liegt in der Beobachtung, dass Sensorik und Motorik untrennbar miteinander verbunden sind. „Jeder sensorische Eindruck löst eine Bewegung aus“, sagt Klammerth. Wenn etwa die Sonne blendet, bedecken wir die Augen, wenn wir auf eine heiße Herdplatte greifen, ziehen wir sofort die Hand zurück. „Wenn die Motorik gestört ist, kann man sie über sensorische Reize wieder in Gang bringen, vorausgesetzt die Sensorik ist noch in Takt.“ Das spiele in der Praxis ein große Rolle bei Schädel-Hirn-Traumata, einem wichtigen therapeutischen Anwendungsbereich der Methode von Feldenkrais.

Dieser entwickelte zunächst eine Einzelbehandlungs-Methode, die rasch bekannt wurde. Yehudi Menuhin kam zu ihm, um von ihm zu lernen, Israels Ministerpräsident Ben Gurion befreite Feldenkrais von seinem Rückenleiden. Das Prinzip war stets, den Schülern zu vermitteln, sich in ihrer Bewegung neu zu etablieren. „Erst wenn wir wissen, was wir tun, können wir tun, was wir wollen“, so einer seiner Grundsätze.

Aufgrund der großen Nachfrage entwickelte Feldenkrais ab 1955 Gruppentechniken. In den folgenden Jahren erarbeitete er einige tausend bis heute gültige Lektionen. In jeder einzelnen werden die Schüler auf neue kreative Weise mit ihrer Bewegung konfrontiert. „Bewusstheit durch Bewegung“ lautete folglich das Prinzip, das auf eine individuelle Verbesserung von Bewegung und Lernprozess zielt.

1960 begann Feldenkrais, seine Methode an „Jünger“ weiterzugeben, die erste Ausbildung fand 1960 in Israel statt. In Europa schaffte er in den siebziger Jahren den Durchbruch von der Schweiz aus, „zwölf Radiolektionen“ brachten ihm internationale Anerkennung. Es folgten Ausbildungen in den USA, Deutschland und Frankreich. Bremsen konnte den agilen Querdenker erst ein Schlaganfall. Am 2. Juli 1984 starb er in seinem Haus in Tel Aviv.

Heute gibt es weltweit um die tausend Feldenkrais-Lehrer, in Österreich sind es ungefähr 120. Berechtigt zum Unterricht sind ausschließlich diplomierte Feldenkrais-Lehrer, die eine international anerkannte vierjährige Ausbildung mit Abschlussprüfung absolviert haben. Der Unterricht findet in Form von Gruppenarbeit („Bewusstheit durch Bewegung“) oder Einzelarbeit („Funktionale Integration“) statt.

Therapeutisch sinnvoll ist die Feldenkrais-Methode insbesondere bei Nacken- und Schulterbeschwerden, bei Multipler Sklerose, bei der Rehabilitation von Schädel-Hirnverletzten und Schlaganfall-Patienten, bei geistig und lernbehinderten Kindern, bei der Geburtsvorbereitung sowie als Ergänzungsbehandlung bei Patienten mit Krebs oder Essstörungen.

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Langsame Bewegungen statt Operation: Feldenkrais‘ Methode der Selbstheilung
(Die Presse 02.07.2004)