(Christoph Habegger im Interview – Spa World Business Ausgabe 02/2009)

Fernöstliche Bewegungslehren sind fixer Bestandteil im Angebot von Spa-Hotels.

Westliche Lehren wie die Feldenkrais-Methode sind zwar in anderen Bereichen, wie in Kunst und Kultur, gut etabliert, die Wellness-Branche hat sie aber scheinbar noch nicht entdeckt, dabei passt sie ideal in ein entsprechendes Angebot, denn Feldenkrais ist eine Art Körperarbeit, die abgesehen von ihrem entspannenden Effekt nachhaltige Erfolge für Körper, Geist und Seele erzielt. „Wahrscheinlich liegt es daran, dass sich keine Trendmacher hinter der Feldenkrais-Methode verstecken, die Lehrenden selber an ihrer eigenen Bewusstheit und Wahrnehmung – zwei häufig fallende Schlagwörter – üben, kurz, sie versuchen, ihre eigene Lehre zu leben.“ Christoph Habegger, Feldenkrais- und Universitätslehrer, fügt hier noch hinzu, dass die Methode ihren Fokus auf das Lernen als Motivation legt. Damit sind keine Scheu vor persönlicher Entwicklung und der Wille und Mut zur Veränderung die wichtigsten Voraussetzungen.

Moshé Feldenkrais (1904 – 1984)
Die Methode ist nach ihrem Begründer benannt. Moshé Feldenkrais, dessen Karriere als promovierter Physiker einen Bogen über die Nukleartechnik bei den Nobelpreisträgern Irene Juliot-Curie und Frédéric Juliot bis zur Sonartechnik zur U-Boot-Erkennung bei der britischen Admiralität spannte, ist mit 14 Jahren aus seiner Geburtsstadt Slawuta in der Ukraine in das damalige Palästina ausgewandert.

Über sich selber lernen, ist ein Geschenk des Lebens und ein lebenslanger Prozess. Moshé Feldenkrais
Schon damals kam er in Kontakt mit ganzheitlichen Körpertrainings, als er Jiu-Jitsu lernte. Im Paris der 30er Jahre machte er Bekanntschaft mit Jigoro Kano, dem Begründer des Judo. Parallel zu seiner technischen Arbeit erweiterte er sein Wissen mit dem Studium von neurophysio- und -psychologischen Büchern. Nach der Gründung Israels kehrte er dorthin zurück. Neben seiner Arbeit in einem Forschungsinstitut des Verteidigungsministeriums begann er seine Methode zu entwickeln, veröffentlichte 1949 das erste Buch „Body and Mature Behaviour“ und widmete sich ab 1952 ausschließlich dem Unterricht und der Ausbildung neuer Praktizierender der Feldenkrais-Methode.

Die Methode
Allem voran geht es um die Schulung der Wahrnehmung und Bewusstheit. Feldenkrais übt das Erkennen der eigenen Bewegungsmuster und – davor – das Erspüren, welche Körperteile überhaupt an einer Bewegung beteiligt sind. Dabei erkennt der Übende, ob eine Bewegung optimal ausgeführt wird. In der Variation mit anderen Bewegungsmustern kann herausgefiltert werden, wie ein solches optimiert werden kann. Meist geht mit der Veränderung in einem Bewegungsverhalten auch eine Veränderung im Umgang mit der Umwelt einher.

„Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst.“ Moshé Feldenkrais
Der Erfolgsfaktor für die Methode liegt im Menschen selber. Feldenkrais fand heraus, dass das menschliche Nervensystem eine angeborene Intelligenz hat. Der Körper merkt sich daher sofort, wenn eine Bewegung leichter geht und ersetzt die ungünstigere beinahe von alleine oder entwickelt ein Handlungsrepertoire, das ihm ermöglicht, in unterschiedlichen Situationen angemessen zu reagieren. Habegger veranschaulicht dies in einem Beispiel: „Jeden Tag nehme ich denselben Weg zur Arbeit. Eines Tages ist dieser Weg aus irgendeinem Grund versperrt. Kenne ich keinen anderen Weg, werde ich mich vielleicht verirren oder zumindest zu spät zur Arbeit kommen. Mache ich es mir hingegen zum Spiel, jeden Tag einen anderen Weg zu finden, werde ich bald die ganze Gegend kennen!“ Für diese Wahrnehmungsschulung hat Feldenkrais zwei Systeme entwickelt.

„Bewusstheit durch Bewegung“
Dieses System ist für den Gruppenunterricht gedacht. Dabei führt der Übende die Anweisung des Feldenkrais-Lehrenden aus. Es gibt keine Korrektur, denn es geht nicht um die perfekte Bewegung, sondern um das eigenständige Herausfinden, welche Form der Bewegung optimaler ist. Unter Bewegung stellt man sich aber wahrscheinlich mehr vor, als tatsächlich passiert. Bewegung im Feldenkrais ist etwas ganz kleines, das unter Umständen von außen auch nicht sichtbar ist. Ein Beispiel zur Veranschaulichung: wenn der Übende am Rücken liegt und nur im Ansatz versucht, das Bein zu heben, ist wahrscheinlich für den Betrachter keine Bewegung sichtbar, im Körper selber finden aber viele kleine Prozesse statt, die nur bei einem minimalen Unterschied die Effizienz der tatsächlich großen Bewegung weitgehend steigern können. Mit Spannung kann der Übende beobachten, dass der Körper derart leicht umlernt, dass er es – während man nur auf einer Seite geübt hat – auf der anderen Seite von ganz alleine macht. Habegger erklärt auch, warum eine solche Gruppenstunde emotionale Auswirkungen und somit einen Einfluss auf das Seelenleben haben kann. Im menschlichen Körper ist die Lebensgeschichte gespeichert, jedes Haltungs- und Bewegungsmuster ist gleichsam Ausdruck der eigenen Geschichte. Indem wir einen bestimmten Körperteil bewegen, wird auch die in jenem Teil gespeicherte Information bewegt.

„Funktionale Integration“
Die Einzelarbeit nach Feldenkrais ist eine passive Methode, das heißt, der Feldenkrais-Lehrer bewegt den Klienten. Eine derartige Sitzung ist vergleichbar zielgerichteter. Der Lernende gibt das Thema vor, sei es ein Schmerz im Knie, leichteres Geige-Spielen oder Ähnliches. Gemeinsam wird nach einer Referenzbewegung gesucht, etwa dem Aufsetzen des Fußes oder dem Bogenschwung, um bei den Beispielen zu bleiben. Der Feldenkrais-Lehrer kann sich so ein Bild von der Bewegungsorganisation machen. Nun beginnt die manuelle Arbeit des Lehrenden, der den Klienten berührt oder einzelne Körperteile bewegt. Der Klient kann auf passive Weise weitere Bewegungsmöglichkeiten kennen lernen und erkennen, wie einzelne Körperstrukturen an Bewegungen beteiligt sind. Am Ende der Lektion wird die Referenzbewegung wieder aufgenommen. Die individuelle Arbeit wirkt viel direkter in ein lange eingeübtes Bewegungs- und Verhaltensmuster ein und ermöglicht eine erweiternde und oft auch erleichternde Veränderung.

Anwendungsgebiete
Wie eingangs erwähnt, ist die Feldenkrais-Methode abgesteckt auf das aktive Lernen. Dementsprechend vielfältig gestalten sich die Anwendungsbereiche. Feldenkrais findet sich in der Rehabilitation nach Unfällen sowie in der Gesundheitsvorsorge, aber auch zur alternativen Behandlung bei neurologischen Erkrankungen. In der Pädagogik und beim Sport werden mit Feldenkrais neue Muster trainiert und in der körperorientierten Psychotherapie verweist die Methode auf gute Erfolge. So unterstreicht Habegger nachdrücklich ein Ziel, mehr Verantwortung für die persönliche Entwicklung und Gesundheit, die Integrität und Authentizität zu übernehmen, wofür Feldenkrais einen außergewöhnlichen Beitrag leistet.

Der richtige Lehrer
In vielen Disziplinen stellt sich die Frage nach der Kompetenz des Unterrichtenden. Diese ist bei jedem Trainer gewährleistet. Die Ausbildung, um unterrichten zu dürfen, dauert vier Jahre, in denen ein „Educational Director“ den Einzelnen größtenteils begleitet. Weiters gibt es Trainer und Assistent Trainer, die eine Bandbreite an zusätzlichen Stilen mit hineinbringen. Für die Auswahl des richtigen Lehrers ist selbstverständlich auch die Chemie verantwortlich und sollte die einmal nicht stimmen, darf ruhig gefragt werden, ob der Lehrer nicht etwas spiegelt, worauf der Übende nicht sehen will.

Christoph Habegger ist Feldenkrais-/Stimm- und Atempädagoge und Universitätslehrer.

Buchempfehlung: „Beweglich sein – ein Leben lang“ Thomas Hanna
SPA WORLD Business, Ausgabe 2/2009

Der Artikel im Internet:
Feldenkrais – Mit kleinen Bewegungen zu ganzheitlichem Wohlbefinden

(Christoph Habegger im Interview mit Arno Plass in Spa World Business Ausgabe 02/2009)

(Die Presse 02.07.2004)

Vor 20 Jahren starb Moshe Feldenkrais. Nach einer Verletzung entwickelte er eine Bewegungs-Methode, die heute noch zu Wellness-und Therapie-Zwecken eingesetzt wird.

Seinen 100. Geburtstag hätte er vor wenigen Wochen gefeiert, heute, Freitag, jährt sich zum 20. Mal der Todestag von Moshe Feldenkrais (1904-1984), Palästina-Pionier, Experimentalphysiker, Verhaltensforscher und leidenschaftlicher Lehrer. In die Geschichte eingegangen ist er als Begründer einer nach ihm benannten Bewegungs- und Lernmethode, die in Folge gesteigerten Gesundheitsbewusstseins und des Wellness-Booms der letzten Jahre zunehmend auch in therapeutischem Zusammenhang genannt wird.

„Die Feldenkrais-Methode grenzt an Medizin, Psycho- und Physiotherapie, ist aber weder das eine noch das andere“, sagt Erhard Klammerth, diplomierter Feldenkrais-Lehrer. Feldenkrais liefert vielmehr einen ganzheitlichen Zugang. Simpel erklärt handelt es sich um Bewegungsübungen (keine Gymnastik!) mit mentalem Hintergrund. „Es geht immer um Bewegung und darum, zu bemerken, wie ich es tue, und herauszufinden, ob es auch angemessen ist und welche weiteren Wahlmöglichkeiten es gibt. Zentral dabei ist das selbstbestimmte Lernen, also zu lernen, wie man lernt, besser mit sich umzugehen und so seine potenziellen Fähigkeiten zu verwirklichen“, schildert Klammerth die These von Feldenkrais.

Feldenkrais litt nach einem Unfall beim Fußballspielen an einer komplizierten Knieverletzung und verlagerte seine sportlichen Aktivitäten fortan auf asiatische Kampfsportarten. In Palästina, wohin er 14-jährig aus Russland immigriert war, begann er, sich mit Jiu-Jitsu zu beschäftigen und unterrichtete diese Sportart auch bald schon in der Haganah, der Vorläuferin der israelischen Armee.

1928 ging Feldenkrais nach Paris, um an der Sorbonne Maschinenbau, Elektrotechnik und später Physik zu studieren. Nach der Promotion arbeitet er am Institut Pasteur bei Joliot-Curie. In Paris begegnete er Jigaro Kano, dem Begründer des Judo. Der „sanfte Weg“ (so die wörtliche Übersetzung) faszinierte Feldenkrais so sehr, dass er als erster Europäer den schwarzen Gürtel erwarb, zwei Judo-Bücher schrieb und in Paris die erste europäische Judovereinigung gründete.

1940 dann die Flucht vor den Nazis, Anheuerung bei der britischen Marine. Nach einem Sturz auf einem U-Boot verschlechterte sich der Zustand seines Knies. Ein chirurgischer Eingriff schien unumgänglich. Angesichts der damaligen Operationsmethoden entschied sich Feldenkrais jedoch dagegen, verschlang statt dessen Unmengen Literatur über Verhaltensforschung und Medizin, besonders über Neurologie und Körpermechanik. Das neue Wissen als Basis, experimentierte er selbst mit kleinsten, langsamsten Bewegungen – nach drei Monaten konnte er wieder gehen. Er entdeckte seine Bewegungen nach dem Vorbild der Entdeckerneugier eines Kindes komplett neu. Hilfreich dabei war ihm auch sein Wissen als Judoka, aber auch als Physiker und Ingenieur.

Die Erfahrung der „Selbstheilung durch Selbstlernung“ wurde fortan zu seinem Thema. 1949 lieferte Feldenkrais mit dem Buch über „Body and Mature behaviour“ (zu deutsch „Der Weg zum reifen Selbst“) erstmals die theoretischen Grundlagen seiner Arbeit.

Eine wichtige Errungenschaft liegt in der Beobachtung, dass Sensorik und Motorik untrennbar miteinander verbunden sind. „Jeder sensorische Eindruck löst eine Bewegung aus“, sagt Klammerth. Wenn etwa die Sonne blendet, bedecken wir die Augen, wenn wir auf eine heiße Herdplatte greifen, ziehen wir sofort die Hand zurück. „Wenn die Motorik gestört ist, kann man sie über sensorische Reize wieder in Gang bringen, vorausgesetzt die Sensorik ist noch in Takt.“ Das spiele in der Praxis ein große Rolle bei Schädel-Hirn-Traumata, einem wichtigen therapeutischen Anwendungsbereich der Methode von Feldenkrais.

Dieser entwickelte zunächst eine Einzelbehandlungs-Methode, die rasch bekannt wurde. Yehudi Menuhin kam zu ihm, um von ihm zu lernen, Israels Ministerpräsident Ben Gurion befreite Feldenkrais von seinem Rückenleiden. Das Prinzip war stets, den Schülern zu vermitteln, sich in ihrer Bewegung neu zu etablieren. „Erst wenn wir wissen, was wir tun, können wir tun, was wir wollen“, so einer seiner Grundsätze.

Aufgrund der großen Nachfrage entwickelte Feldenkrais ab 1955 Gruppentechniken. In den folgenden Jahren erarbeitete er einige tausend bis heute gültige Lektionen. In jeder einzelnen werden die Schüler auf neue kreative Weise mit ihrer Bewegung konfrontiert. „Bewusstheit durch Bewegung“ lautete folglich das Prinzip, das auf eine individuelle Verbesserung von Bewegung und Lernprozess zielt.

1960 begann Feldenkrais, seine Methode an „Jünger“ weiterzugeben, die erste Ausbildung fand 1960 in Israel statt. In Europa schaffte er in den siebziger Jahren den Durchbruch von der Schweiz aus, „zwölf Radiolektionen“ brachten ihm internationale Anerkennung. Es folgten Ausbildungen in den USA, Deutschland und Frankreich. Bremsen konnte den agilen Querdenker erst ein Schlaganfall. Am 2. Juli 1984 starb er in seinem Haus in Tel Aviv.

Heute gibt es weltweit um die tausend Feldenkrais-Lehrer, in Österreich sind es ungefähr 120. Berechtigt zum Unterricht sind ausschließlich diplomierte Feldenkrais-Lehrer, die eine international anerkannte vierjährige Ausbildung mit Abschlussprüfung absolviert haben. Der Unterricht findet in Form von Gruppenarbeit („Bewusstheit durch Bewegung“) oder Einzelarbeit („Funktionale Integration“) statt.

Therapeutisch sinnvoll ist die Feldenkrais-Methode insbesondere bei Nacken- und Schulterbeschwerden, bei Multipler Sklerose, bei der Rehabilitation von Schädel-Hirnverletzten und Schlaganfall-Patienten, bei geistig und lernbehinderten Kindern, bei der Geburtsvorbereitung sowie als Ergänzungsbehandlung bei Patienten mit Krebs oder Essstörungen.

Der Artikel im Internet
Langsame Bewegungen statt Operation: Feldenkrais‘ Methode der Selbstheilung
(Die Presse 02.07.2004)